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Miniwildnis im Biodiversitätskonzept der Stadt Bad Saulgau

Von Thomas Lehenherr

Stadt Bad Saulgau, ca. 18.000 Einwohner, Landkreis Sigmaringen, Baden-Württemberg

 

Die Stadt Bad Saulgau hat sich seit 1992 als Pionierin mit mir, Thomas Lehenherr (als damals neu eingestellter städtischer Umweltbeauftragter) auf den Weg gemacht, ein umfassendes Biodiversitätskonzept zu erarbeiten. Dies stützt sich heute auf fünf Säulen. Hierbei ist wieder mehr Mut zur Urwüchsigkeit, zu Vielfalt und Sukzession gefragt, also die Abkehr von antiquierten, landschaftsarchitektonisch geradlinigen, symmetrischen „Eye-Catchern“ hin zu mehr Wildnis.

 

Fünf Säulen des Biodiversitätskonzeptes, in die „Miniwildnis“ integriert ist:

1.      Naturlehrpfade

2.      Gewässerrenaturierungen

3.      Biotopanlagen

4.      Umwandlung von Einheitsgrün in artenreiches Grün im Siedlungsbereich

5.      NaturThemenPark (Zusammenfassung der ersten 4 Säulen plus „Wald im Klimawandel“)

 

Säule 1: Naturlehrpfade


Mittlerweile gibt es in Bad Saulgau zehn beschilderte Naturlehrpfade, um Menschen für Natur und auch Miniwildnis einzuladen, sie zu informieren, sie zu berühren: Zwei Lehrpfade zu heimischen Gehölzen. Ein Obstbaumlehrpfad mit 100 alten widerstandsfähigen Kern- und Steinobstsorten. Nistkastenlehrpfad mit Vogelstimmentafel, Nistkastenpuzzle. Ein Georundweg mit Panoramastation und Tafeln zur Erdgeschichte. Der Thermalwasserlehrpfad und Themenpfad Energiewende. Heckenschaugarten mit artenreicher Hecke aus heimischen Gehölzen. Themen- und Erlebnisweg Wasser. Der Natur- und Historienweg Braunenweiler (8 km) informiert über Entstehung des dortigen Wasenriedes und gerade auch die Auswirkungen der Bibertätigkeit.

 






















Säule 2: Gewässerrenaturierungen - Miniwildnis, die schön aus „mini“ herauswächst:

Bis 2025 wurden im Gemeindegebiet mehr als 15 Kilometer Fließgewässer renaturiert. In Flurneuordnungsverfahren war es der Stadt möglich, Zuschüsse zu generieren und großzügig Gewässerrandstreifen zu erwerben. Gemeinsam mit Schulen und weiteren tatkräftigen Unterstützern wurden die Renaturierungen durchgeführt: Beton-Solschalen und Uferverbauungen wurden entfernt, Mäander angelegt, standortgerechte Bäume und Sträucher gepflanzt, Nistmöglichkeiten für viele Vogelarten geschaffen. Die Gewässer und Gewässerrandstreifen sind weitgehend sich selbst überlassen und entwickeln sich dynamisch. Gewässergüte und Artenvielfalt verbessern sich merklich. Gewässerrandstreifen dienen bei Starkregen als Überflutungsbereiche und schützen vor Hochwasser.

 





















Säule 3: Biotopanlagen

In Zusammenarbeit mit privaten Grundstücksbesitzern und teilweise im Rahmen von Flurneuordnungsverfahren schuf die Stadt strukturreiche Biotopanlagen mit neuen Fließ- und über 100 Stillgewässern, sowie Gehölz-, Trocken- und Feuchtstrukturen, die 120 Hektar umfassen. In einem Teil dieser Anlagen wurden Sukzessionsflächen ausgewiesen. Hier hat sich in kurzer Zeit eine artenreiche Fauna und Flora mit seltenen Amphibien-, Insekten- und Vogelarten entwickelt.


Säule 4: Umwandlung von Einheitsgrün in artenreiche Flächen im Siedlungsbereich

Treibende Kraft ist hier Stadtgärtnermeister Jens Wehner. Im Siedlungsbereich wurden zuvor monotonen Einheitsgrüns in artenreiche heimische Wildblumenwiesen, Staudenbeete und Feldgehölze umgewandelt. Bauhof und Stadtgärtnerei arbeiten mit der Stadtverwaltung Hand in Hand. Des Weiteren wurden Verkehrsinseln entsiegelt und mit trockenheitsresistenter artenreicher Staudenvegetation versehen.

Dabei wurden auch Konzepte einer „Essbaren Stadt“ eingebunden: Pflanzkübel der Innenstadt sind seit 2015 mit insektenfreundliche Gewürz-, Küchen- und Heilkräutern sowie Kleingemüse und Kleinobst für die Bürger zum Probieren sowie als Anregung für den eigenen Balkon oder Garten, bepflanzt. Das Angebot wird von der Bevölkerung rege angenommen.

Im Rahmen des Projektes wurden Mineraldüngung und Pestizide auf städtischen Flächen auf null reduziert. Die früher zahlreichen Wechselbepflanzungen wurden zu Gunsten dauerhafter, insektenfreundlicher Vegetation eingestellt. Die Kosten für Pflanzen haben sich halbiert, obwohl sich die zu bewirtschaftende Flächen in den letzten 30 Jahren verdoppelt hat. Der Personalbestand der Stadtgärtnerei ist derselbe wie vor 30 Jahren. Die Stadt spart mit diesem Projekt sehr viel Geld bei gleichzeitig großer Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlage.



                                                                                                             

















Säule 5: NaturThemenPark

Der NaturThemenPark Bad Saulgau (NTP) fasst die 4 Säulen des Biodiversitätskonzeptes plus das Thema Wald im Klimawandel auf einer 60 Hektar großen Fläche zusammen. Hier werden die Naturthemen interessant vermittelt.  An interaktiven Naturerlebnisstationen können Kinder spielerisch über die Natur lernen. Der Biber hat weiter Teile der Flächen überprägt und sorgt für viele Hektar Miniwildnis und ein Eldorado für weitere Wildtiere und –pflanzen. Die Wildnisteile sind angebunden an Versuchsflächen für mediterrane, wärme- und trockenheitstolerante Gehölze und zeigen auf, wie sich diese im Verbund mit heimischen Arten entwickeln. Die Ausstellung ,,Kunst beflügelt Natur“ vernetzt Kultur und Natur.

 




















Gemeinsam statt einsam:

Von Beginn an wurden die Bevölkerung sowie öffentliche Institutionen in das Konzept über gemeinsame Aktionen oder Umweltveranstaltungen eingebunden.  Mit dem „Happy Family Day“, dem heute größten oberschwäbischen Umwelt- und Familientag, hat die Stadt zudem zur Umweltbewusstseinsbildung eine jährlich stattfindende Veranstaltung mit Alleinstellungsmerkmal ins Leben gerufen. Die gesamte Innenstadt ist in thematische Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereiche unterteilt, in denen sich Vereine, Betriebe und die Stadt präsentieren und Besucher beraten werden. Bislang wurden bis zu 20.000 Besucher pro Veranstaltung registriert. Mittlerweile ist das Bad Saulgauer Biodiversitätskonzept gemeinsam mit dem Gesundheitsbereich zum wichtigsten Marketingfaktor der Stadt gewachsen. Für Alle gibt es auch überregional eine 80 Seiten umfassende ökologische Gartenfibel, mit der zu „mehr Wildnis wagen“ angeregt wird.

 


Auszeichnungen und Anregung für Alle aus Bad Saulgau

Für ihr großes Engagement im Bereich der Artenvielfalt wurde die Stadt Bad Saulgau vielfach ausgezeichnet. Bad Saulgau darf sich außerdem seit 2011 baden-württembergische „Landeshauptstadt der Biodiversität“ nennen. Wichtiger als Auszeichnungen sind jedoch der Beitrag zum Erhalt unserer Lebensgrundlage und die große Strahlwirkung, die das Konzept inzwischen auf andere Einrichtungen und Privatpersonen hat. Je mehr mitmachen, desto größer der Erfolg! - Das gesamte Konzept und alle Maßnahmen finden sich laufend aktuell auf der städtischen Website: https://www.bad-saulgau.de/de/natur/index.php


























Bild: Thomas Lehenherr und Jens Wehner

 
 
 

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